Der Legende nach hat alles im Jahre 1665 angefangen, als die Universität von Cambridge wegen der sich in England ausbreitenden Pest geschlossen wurde, und Isaac Newton (1642 – 1727) deswegen nach Hause aufs Land ging und dort viel Zeit zum Lesen und Nachdenken hatte. Als er eines Tages einen Apfel vom Baum fallen sah, kam ihm die revolutionäre Idee, dass dafür die gleiche Kraft verantwortlich sei wie jene, die den Mond um die Erde kreisen ließ. Auf jeden Fall hatte Newton zu dieser Zeit, in der eigentlich das Irdische vom Himmlischen völlig getrennt war und nichts miteinander zu tun hatte, den Gedanken gefasst, dass doch alles irgendwie zusammenhängen könnte.

Aus der Fallbeschleunigung eines Apfels (oder irgendeines anderen Gegenstandes), dem Erdradius, dem Mondbahnradius, der aus der Umlaufzeit errechneten Mondgeschwin-digkeit sowie der daraus bestimmten Fallbeschleunigung des Mondes auf die Erde zu errechnete Newton eine 1/r2-Abhängigkeit der dafür verantwortlichen Kraft. Der erste Schritt zu seinem Gravitationsgesetz war also die Beziehung

F ~ 1/r2 ( 1 )

Aus seinen nach ihm benannten Bewegungsgesetzen

  1. Trägheitsprinzip oder Gleichförmige Bewegungen verändern sich
  2. nicht ohne Kräfteeinwirkung ( 2 )
  3. Kraft gleich Masse mal Beschleunigung oder F = ma ( 3 )
  4. Actio gleich Reactio oder Fab = Fba ( 4 )
und der obigen Beziehung ( 1 ) schloss er: "Die Kraft F12, die ein Körper 1 auf einen Körper 2 ausübt, ist einerseits wegen F12 = m2a2 proportional zur Masse m2 desselben. Andererseits ist wegen F12 = F21 = m1a1 die Kraft F12 aber auch proportional zu m1. Zusammengenommen sollte also F12 = F21 = F = Gm1m2(1/r2) gelten" [1].

Das ist die heutige Form des Newtonschen Gravitationsgesetzes

FG = Gm1m2(1/r2) ( 5 )

mit der Gravitationskraft FG, den Massen m1 und m2 zweier Körper und dem Abstand r zwischen den Schwerpunkten der beiden Körper. Die Proportionalitätskonstante G, die heute Newtonsche Gravitationskonstante genannt wird, konnte Newton noch nicht bestimmen, er konnte sie nur abschätzen. Aus den damaligen Werten, die für den Durchmesser und die Dichte der Erde angenommen wurden, errechnete er für die Gravitationskonstante einen Wert von

G = 6,68 × 10-11 m3 kg-1 s-2,

welcher nur ca. 1 % vom heute anerkannten Wert abweicht. Das Gravitationsgesetz wurde sehr schnell sehr erfolgreich, Newton konnte damit die Keplerschen Gesetze erklären, die Masse der Sonne und ihr Abstand zur Erde konnten bestimmt werden, und die moderne Astronomie wurde durch das Gravitationsgesetz erst ermöglicht.

Erst ca. 70 Jahre nach Newtons Tod gelang es Henry Cavendish (1731 - 1810) [2] im Jahre 1798 bei dem Versuch, eine "Wägung der Erde" durchzuführen, einen Messwert für die Gravitationskonstante G anzugeben, den er mit Hilfe einer Torsionswaage bestimmt hatte.

Auch wenn die Gravitationskonstante damit eine der am längsten bekannten Naturkonstanten der Welt ist, ist ihr Wert trotzdem der mit Abstand am ungenausten bestimmte (vgl. Tab. 1). In den vergangen mehr als 200 Jahren, in denen der Wert gemessen wurde ist gerade mal eine Verbesserung um zwei Größenordnungen gelungen: Henry Cavendish hatte 1798 einen Wert von

G = (6,75 ± 0,05) × 10-11 m3 kg-1 s-2

gemessen mit einem geschätzten Fehler von 7400 ppm. Das CODATA legte in der Ausgabe von 1986 [3] die Newton'sche Gravitationskonstante G auf den Wert

G = (6,67259 ± 0,00085) × 10-11 m3 kg-1 s-2

fest. Das bedeutete einen relativen Fehler von 128 ppm. Der Wert beruhte hauptsächlich

auf den Messungen von Luther und Towler 1982 [4], die mit ihrer Torsionswaage

G = (6,67259 ± 0,00041) × 10-11 m3 kg-1 s-2 (64 ppm)

gemessen hatten. Dabei wurde allerdings das Fehlerintervall vom CODATA verdoppelt, weil nur eine Messung zu Grunde gelegt wurde. Andere vorgestellte Werte wurden aus unterschiedlichen Gründen nicht berücksichtigt. So hatte z.B. Sagitov [5] keine ausreichende Angabe der Fehlerquellen beschrieben und Karagioz [6] hatte in seinen Ausführungen einen Druckfehler, sodass die Werte als nicht konsistent galten [3].

Vergleicht man die Fehlergrenzen mit denen einiger anderer Naturkonstanten (Tab. 1), so stellt man fest, dass der Fehler um mehrere Größenordnungen größer ist als bei den meisten anderen.
 
Naturkonstante   Wert
Fehlergrenzen in ppm
  (1998)
(1998)
(1986)
Lichtgeschwindigkeit c 299792458 m s-1
exakt
Permeabilität im Vakuum µ0 4 p × 10-7 N A-2
exakt
Dielektrizitätskon-
stante von Vakuum
e0 8,854187817... × 10-12 F m-1
exakt
Planck'sches Wirkungsquantum h 6,62696876(52) × 10-34 J s 0,078 0,60
Elementarladung e 1,602176462(63) × 10-19 C 0,039 0,30
Elektronenmasse me 9,10938188(72 × 10-31 kg 0,079 0,59
Protonenmasse mp 1,67262158(13) × 10-27 kg 0,079 0,59
Proton-Elektron 
Massenverhältnis
  1836,1526675(39) 0,0021 0,020
Feinstrukturkonstante a 7,297352533(27) × 10-3 0,0037 0,045
Rydberg Konstante R¥ 10973731,568549(83) m-1 0,0000076 0,0012
Avogadro Konstante NA 6,02214199(47) × 1023 mol-1 0,079 0,59
Faraday Konstante F 96485,3415(39) C mol-1 0,04 0,30
Molare Gaskonstante R 8,314472(15) J mol-1 K-1 1,7 8,4
Boltzmann Konstante  k 1,3806503(24) × 10-23 J K-1 1,7 8,5
Stefan-Boltzmann Konstante s 5,670400(40) × 10-8 W m-2 K-4 7 34
Elektronvolt eV 1,602176462(63) × 10-19 J 0,039 0,30
Atommasse u 1,66053873(13) × 10-27 kg 0,079 0,59
Gravitationskonstante G 6,673(10) × 10-11 m3 kg-1 s-2 1500 128
Tabelle 1: Naturkonstanten und ihre Werte. Angegeben sind die Werte von 1998 und die Fehlergrenzen von 1998 und 1986 im Vergleich. Es ist deutlich zu erkennen, dass bei allen Naturkonstanten z.T. deutliche Fortschritte in der Genauigkeit gemacht wurden – außer bei der Gravitationskonstante G

Ein exakt bei der Fehlergrenze bedeutet, dass der Wert definiert ist und deswegen keine Fehlergrenzen haben kann [3], [7].

Im Rahmen der nach 1986 zur Verkleinerung der Fehlergrenzen unternommenen Experimente gab es eine Vielzahl neuer Messungen, die allerdings eine relativ große Streuung in ihren Ergebnissen aufwiesen. Daher wurde das Fehlerintervall nicht verkleinert, sondern bei Beibehaltung des Wertes auf 1500 ppm verzwölffacht (vgl. Tab. 1) [7].

Diese Tatsache spornte wiederum eine Menge Physiker an, sich mit der Messung der Gravitationskonstante zu befassen, und nach aktuellen Veröffentlichungen stehen einige Gruppen kurz davor, deutliche Fortschritte zu machen (siehe Kapitel 3.1 Aktuelle Experimente).

Ein großes Problem bei der Bestimmung der Gravitationskonstante ist, dass die Gravitationswechselwirkung im Verhältnis zu den anderen Wechselwirkungen (ins-besondere der elektromagnetischen Wechselwirkung) sehr klein ist. Sobald sich elektrische Felder in der Messapparatur bilden, wird die Gravitation davon überdeckt und das Messergebnis verfälscht. Des Weiteren lässt sich die Gravitation nicht abschirmen, sodass Massen in der fernen Umgebung nicht zu unterschätzende Fehlerquellen sind. So kann z.B. ein Erdhügel in der Nähe des Labors eine Messung verfälschen, weil auch er im Bereich des Experimentes einen Gravitationsfeldgradienten hervorruft. In ähnliche Kategorien fallen die Gezeiten und sogar Planeten-, Erd- und Mondbewegungen, die bei Langzeitexperimenten die Messung beeinflussen können, weil durch ihre Bewegungen die Gravitationskräfte innerhalb der Messapparatur zeitlich nicht konstant sind. Das Erdmagnetfeld und andere magnetische Einflüsse können das Ergebnis eines Experimentes verfälschen, wenn benutzte Bauteile magnetisierbar sind.

Wenn Menschen die Messapparate bedienen, bringen sie Gravitationsfeld- und Tempera-turgradienten mit sich, die der Genauigkeit der Messung schaden können. Deswegen sind viele der Experimente computergesteuert und laufen oft in der Nacht und am Wochenende, also zu Zeiten, in denen sich möglichst wenige Menschen in der direkten Umgebung aufhalten. Ein weiteres großes und oft angeführtes Problem sind seismische Störungen, die auf Grund der Empfindlichkeiten der verwendeten Waagen die Messungen deutlich beeinflussen und möglichst gedämpft werden müssen.

Auf alle diese möglichen Fehlerquellen wird in den aktuellen Experimenten besonders geachtet. Einige Gruppen widmen sich ganz besonders bestimmten Fehlerquellen, z.B. verwenden einige eine Kompensationswaage, um die Inelastizität des Drahtes als Fehlerquelle auszuschließen (Beispiel siehe Kapitel 3.2.6, vgl. auch Kapitel 2.2).

Letztendlich gibt es auch heute noch Experimente, die sich mit der Überprüfung eventueller Abhängigkeiten der Gravitationskonstante von unterschiedlichen Phänomenen beschäftigen So wird z.B. eine Abstandsabhängigkeit (vgl. Fischbach [8]), eine Materialabhängigkeit oder sogar eine Zeitabhängigkeit (bezogen auf das Weltalter) der Gravitationskonstante G in Erwägung gezogen. Es wird heute allerdings als erwiesen angesehen, dass das Newtonsche Gravitationsgesetz und die damit verbundene quadratische Abstandsabhängigkeit korrekt ist und man den Wert der Gravitations-konstante messen kann, ohne befürchten zu müssen, dass er nur in Spezialfällen zutrifft.

Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Präzisionsexperimente, die sich momentan mit der Messung der Gravitationskonstante G befassen, zusammenzutragen. Als erstes werde ich vorstellen, wie mit einer Torsionswaage die Konstante gemessen werden kann, und was für Probleme dabei auftreten können. Dann stelle ich die aktuellen Präzisionsexperimente in Gruppen geordnet dar, zuerst die, die sich der Torsionswaage in der so genannten Time-Of-Swing Methode bedienen, dann die Versuche, die eine Torsionswaage in der Kompen-sationsmethode nutzen. Anschließend beschreibe ich noch einige Experimente, die ganz andere Methoden verwenden, um einen präzisen Wert für die Gravitationskonstante zu messen. Zwischendurch werden einige geplante, bis jetzt noch nicht verwirklichte Experimente vorgestellt.